Jörg Luibl im Interview. Das Onlinespielemagazin 4Players rief kürzlich den „kritischen Herbst“ aus. Darin thematisiert das Magazin das Verhältnis zwischen Presse und Marketing- und PR-Abteilungen. Die Redaktion musste sich daraufhin einiges an Kritik anhören, bekam allerdings auch viel Lob. Wir sprachen mit Chefredakteur Jörg Luibl.
4Players hat kürzlich den „kritischen Herbst“ ausgerufen. Was versprecht ihr euch davon?
Wir versprechen uns davon in erster Linie eine Anregung zur Diskussion – sowohl in Presse- als auch Publisherkreisen. Wir wollen auf Missstände hinweisen, die sich über Jahre eingeschlichen haben; nicht überall, aber in vielen Varianten. Bisher hat sich die deutsche Spielebranche nicht kritisch genug mit den faulen Kompromissen im Hintergrund auseinander gesetzt. Es geht um das ganze Spektrum zwischen subtiler Beeinflussung und gezielter Manipulation.
Mit eurem zweiten Beitrag, ein Interview mit einem „Ex-Publisher“, seid ihr vor allem durch zahlreiche Kollegen in die Kritik geraten. 4Players wolle sich im guten Licht darstellen, vor allem vor seinen Lesern, und die anderen Magazine fallen unter Generalverdacht, heißt es…
Es gab ja nicht nur Kritik von Kollegen, sondern auch Zustimmung – das positive Feedback wird nur nicht in den Foren diskutiert. Uns wurde von einigen Seiten vorgeworfen, dass wir einfach alleine vorpreschen und das Thema nicht kooperativ angehen. Aber erstens hatten wir bestimmte Seiten eingeladen und zweitens kann sich jeder auch ungefragt beteiligen! Wenn irgendwo ein Thema wie der Schädel-Skandal brennt, fragt der Spiegel nicht den Stern oder RTL, sondern legt mit einer eigenen Story noch eine Schippe auf oder recherchiert Neues.
Natürlich wollen wir unseren Lesern mit dieser Spielkulturreihe auch zeigen, dass wir uns als kritisches Magazin verstehen. Natürlich wollen wir auch unser Profil weiter schärfen. Aber einen Generalverdacht gegen die komplette deutsche Presse? Der Vorwurf ist abstrus und dieses Ansinnen liegt uns fern. Wir wissen, dass da draußen viele Kollegen engagiert arbeiten. Wir wissen aber auch, dass da einiges in der Spielepresse im Argen liegt; nicht nur auf Publisherseite: Es wird zu oft gemauschelt, kooperiert und gekuscht. Und wer das Interview richtig liest, wird erkennen, dass dort auch schon innerhalb der Fragen bewusst differenziert wird. Es geht nicht um Schwarz-Weiß, sondern um die Graustufen.
Eure erste Kolumne ist auf ein großes Echo gestoßen. Gab es bereits Rückmeldungen von Marketing- und PR-Abteilungen?
Oh ja. Und seltsamer Weise reagiert die Seite der Publisher bisher sehr positiv – jedenfalls in privaten E-Mails. Man ist sich auch dort der Probleme bewusst, man redet auf Messen und Partys auch über Dinge, die zwischen Presse und PR falsch laufen. Leider kann sich niemand offiziell äußern, der aktiv teilnimmt. Unsere Informanten wollen anonym bleiben, weil sie ganz einfach um ihren Job fürchten.
Wie analysiert ihr die bisherigen Rückmeldungen eurer Leser?
Bisher haben uns alle Leser ermuntert, das Thema zu vertiefen. Da draußen besteht ein enormer Bedarf an Aufklärung. Manche Leute fühlen sich in letzter Zeit einfach verarscht. Das hat viel mit der Kultur der Kritik zu tun, die in den letzten Jahren einfach nicht gepflegt wurde. Wir haben auch Leser, die das Vertrauen in alle kommerziellen Magazine verloren haben, bewusst Abstand wahren und erstmal alles beobachten wollen – auch uns. Es ist schön zu sehen, dass diese kritische Distanz in der Community auch ein Wert ist.
Wie weit geht der „kritische Herbst“ noch? Ihr habt ihn in eurem Feuilleton, die „Spielekultur“, eingegliedert. Das verspricht noch einiges an Interviews und Kolumnen?
Ja, wir werden das Thema weiter füllen – bis zum Winteranfang. Wir bekommen jeden Tag Angebote von interessierten Leuten, die entweder noch in der Branche aktiv sind oder mittlerweile woanders arbeiten. Viele wollen über ihre erlebten Missstände schreiben. Wir müssen da sehr sensibel auswählen, denn wir wollen kein öffentliches Tribunal veranstalten oder persönliche Rachefeldzüge unterstützen, sondern die Mechanismen beschreiben, die der ganzen Branche schaden. Wir befinden uns da natürlich in einer Zwickmühle, denn obwohl wir den Ruf nach konkreten Namen verstehen können, wollen wir weiter Quellen schützen.
Ein Kollege forderte, nicht nur einen kritischen Herbst, sondern auch einen kritischen Winter auszurufen. Wie stehen die Chancen dazu?
Diese Kampagne frisst schon jetzt Zeit und Personal, die Recherche-Arbeit ist intensiv, gleichzeitig kommen gerade sehr viele Spiele heraus, die getestet werden müssen. Sprich: Wir können das nur eine begrenzte Zeit thematisieren.
4Players klagt an, sicherlich nicht ohne selbst betroffen zu sein. Gehört versuchter Wertungskauf respektive Versuche, Artikel seitens der Publishers zu „verschönern“, zur Tagesordnung?
Nicht der direkte Wertungskauf, aber das ganze Spektrum der Beeinflussung. Wir haben natürlich sehr viel selbst erlebt. Das fängt damit an, dass man gebeten wird, zu harte Formulierungen zu verschönern, kritische Tests gar nicht oder bitte erst nach Release online zu stellen. Selbst News, die auf die finanzielle Situation anspielen, werden nicht gerne gesehen. Marketing-Agenturen versuchen, eine positive Darstellung des Produktes aka Spiels in einer Kampagne zu sichern. Sprich: Investiert man 50.000 Euro an Werbung in dein Portal, erwartet man eine Art Entgegenkommen. Und ab hier wird es spannend: Genau dieses Entgegenkommen definiert dann die Presse. Trennt das betreffende Magazin sein Marketing strikt von der Redaktion? Oder legt man sich für einen Deal flach?
Ist das Thema innerhalb eurer Redaktion ein großes Thema, oder beschäftigt das alleine den Chefredakteur?
So ein großes Thema beschäftigt alle. Wir sprechen natürlich über die Recherche, über die Informationen und wollen alle Ressourcen nutzen, die jeder aufgrund seiner Erfahrungen einbringen kann. Ohne ein Team kann man das nicht aufziehen.
Gibt es überhaupt eine Chance, die bestehenden Missstände zu beseitigen – mittel- oder langfristig?
Die Spielebranche hat hier und da einen versteckten Tumor, vielleicht noch ein paar Allergien, aber das lässt sich alles operieren. Wir sind nicht so naiv, dass wir an eine Heilung glauben, aber wir wollen auf die Krankheit hinweisen. Presse macht die Welt nicht besser, aber sie zeigt wie sie ist. Der erste Schritt besteht darin, darauf aufmerksam zu machen. Man muss die Missstände definieren, selbst wenn sich manches nie ändern wird. Hersteller werden immer versuchen, in irgendeiner Form auf die Berichterstattung eines Mediums einzuwirken. Die Branche muss nur viel öfter deutliche kritische Stoppzeichen setzen.
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