Autor:  Qiong Wu 11.12.2006, letztes Update: 06.06.2018
Wertung: 7.0

In Neverwinter Nights 2 wird Altbewährtes neu aufgerollt

Neverwinter Nights 2 - Screenshot
Neverwinter Nights 2 - Screenshot

Neverwinter Nights 2 im Test. Vorab: Das Rollenspiel ist definitiv ein Knüller. Warum? Die Entwickler haben möglichst wenig am alten Spielprinzip verändert. Dafür haben Sie es aber technisch, optisch und akustisch aufgewertet.

Was Euch bei Neverwinter Nights 2 sofort ins Auge sticht, ist die komplett neu programmierte Grafikumgebung. Ihr erlebt wunderschöne Landstriche und tolle Effekte.

Wälder, Wiesen, Auen, leuchtendes Ährengold

Während früher mit fixen Höhenebenen gearbeitet wurde, ist jetzt eine komplett neue Geländetechnik implementiert. Sie erlaubt stufenlose Hügel, Berge oder ähnliches. Davon profitiert der neue Leveleditor ungemein.

Es ist ein riesiger Schritt von der alten, teilweise sehr unrealistischen Ebenenstruktur des Geländes (das Gelände erinnerte manchmal an Legobausteine), zum neuen, runden, 3D-Gelände. Das entfaltet seine Schönheit besonders bei großen, weiten Landschaften.

Während früher Landschaften außerdem noch aus Rechtecken (so genannte Tiles) mit einer bestimmten Textur zusammengebaut waren, verzichtet Neverwinter Nights 2 bei Außengeländen vollkommen auf Tilesets. Mithilfe dieser neuen Technik sieht kein Außengelände wie das andere aus, ganz im Gegensatz zu früher, als sich Karten mit denselben Texturen und Rechtecke noch relativ ähnlich sahen und der Spieler sich meistens eher auf die Story als auf tollen Augenschmaus freuen durfte.

Aber: In Innenräumen benutzt Neverwinter Nights 2 noch das alte System. Daher erinnern die Dungeons trotz neuer Grafik immer noch ein wenig an den Vorgänger. Dank toller neuer Texturen und Grafiktechniken erkennen das eher nur Veteranen.

Außerdem wurden alle sonstigen Dekorationsobjekte viel dynamischer gestaltet. In Neverwinter Nights 2 sieht kein Baum aus wie der andere und auch die Steingruppierungen sind jetzt keine fixen Modelle mehr, sondern bieten ein abwechslungsreiches Bild.

Mimik und Lippenleser

Bei der grafischen Realisation der Spielfiguren haben die Entwickler nicht gespart. Im Gegenteil, glaubwürdige Gesichtsmimik und fließende Bewegungen der Charaktere haben im Test immer wieder für Staunen gesorgt. Sogar die Lippen der Charaktere bewegen sich authentisch beim Sprechen. Der Effekt ist erstaunlich gut realisiert. Selbst ein abschätziges Grinsen etwa oder ähnliche, detaillierte Mimiken kommen gut rüber.

Allerdings hat sich Neverwinter Nights 2 in dieser Hinsicht ein wenig zu sehr überschätzt. Besonders Spieler des Vorgängers werden die altbekannten Portraitbilder vermissen. Denn obwohl die Charaktere durchaus echt wirken und die Gesichter sehr detailliert umgesetzt sind, fehlt ohne die Portraits das alte Dungeons & Dragons Rollenspiel-Flair. Neueinsteiger werden eher kein Problem mit der Abschaffung haben.

Starker Faden zwischen Gefährten

Die eigentliche Stärke von D&D-Rollenspielen ist deren Geschichte. Deswegen kramen Gamer auch heute noch alte Spiele wie Baldur’s Gate oder Icewind Dale hervor. Man möchte alte Abenteuer noch einmal erleben, weil sie gut erzählt waren. Ähnlich wie man ein gutes Buch nicht nur einmal in die Hand nimmt.

Neverwinter Nights 2 bildet da keine Ausnahme. Die Handlung ist streckenweise sogar noch besser als im ersten Teil. Das liegt aber nicht an einer neuen, ausgefeilten Geschichte, sondern an der Beziehung des Hauptcharakters zu seinen Gefährten. Die kehrt wieder zum alten Baldur’s-Gate-II-Stil zurück.

Das Rollenspiel lernt aus dem Fehler des Vorgängers und kehrt zurück zum alten Gefährtensystem. Es ist wieder möglich, sich mit bis zu vier Wegbegleitern und der Hauptfigur ins Abenteuer zu stürzen. Dem Spieler wir dabei wieder die volle Kontrolle der Figuren zugemutet. Das heißt, individuelles Verteilen der Fertigkeitspunkte bietet jetzt wieder die alte Möglichkeitsvielfalt.

Schluss mit Backen halten

Natürlich gibt es wieder die Streitereien. Einfluss heißt das Zauberwort in Neverwinter Nights 2. Je höher der Einfluss auf einen Gefährten ist, desto loyaler verhält er sich gegenüber Euch. Allen könnt Ihr es aber nicht recht machen. Schon zu Beginn müsst Ihr den Clinch zwischen dem kampfsüchtigen Zwerg Khelgar Eisenfaust und der Halbdämonin Neeshka ertragen. Das Dilemma ist vorprogrammiert. Haltet Ihr Euch raus, kassiert Ihr für keinen der beiden Kontrahenten Einflusspunkte. Helft Ihr dem einen, gewinnt Ihr zwar an Einfluss bei diesem Gefährten, verliert dafür aber solchen beim anderen.

Leider strichen die Entwickler ein paar ganz gute Punkte aus dem ersten Teil. Ihr stoßt in Neverwinter Nights 2 kaum auf anspruchsvolle Rätsel. Damit war der erste Teil vollgepflastert; Die meisten Dialoge sind simpel. Die Story knüpft zeitlich an den Wiederaufbau Niewinters nach dem Krieg gegen Luskan an. Der fand direkt nach dem ersten Teil statt.

Wie üblich gibt es einen fiesen Bösewicht, hier konkret den „Fürst der Finsternis“. Der will Tod und Zerstörung bringen, aus welchem Grund auch immer. Von Außen gesehen wirken die Geschichten in D&D-Spielen immer ein wenig langweilig. Aber gerade bei RPGs aus dieser Welt geht es um die Details. Das Spiel spornt Euch immer wieder durch neue Teile der Geschichte an weiterzuspielen. Überraschende Wendungen sorgen für Abwechslung.

Nach klassischem Schema

Spoileralarm: Mitten im Spiel stirbt unerwarteterweise eine Gefährtin durch die Hand ihres eigenen Großvaters. Zunächst wird er für den Fürst der Finsternis gehalten, entpuppt sich dann aber als Feind des Fürsten. Er bereut später bitter, seine eigene Enkelin unwissentlich ermordet zu haben. Ansonsten ist die Handlung leider ziemlich starr. Wenn Ihr vollkommen freie Hand im Spiel haben möchtet, müsst Ihr auf uralte Spiele wie Arcanum zurückgreifen.

Eine Innovation ist hingegen, dass Ihr im Verlauf des Abenteuers irgendwann die Kontrolle über eine Festung erhaltet. Ihr dürft sie ausbauen, Soldaten rekrutieren, und die Burg mit allerlei Händlern, Arbeitern und Barden bevölkern. Die Burg bildet in der Kampagne später die Ausgangsbasis für alle Aktionen.

Karte wie in Baldur’s Gate II

Auch aus Baldur’s Gate II kennt man das Feature der Weltkarte. Damit könnt Ihr bereits abgeschlossene Plätze noch einmal besuchen. So holt Ihr vergessene Nebenquests nach. Ab und zu werdet Ihr beim Bereisen der Spielwelt mit unvorhergesehenen Ereignisse konfrontiert. Die sind ein Resultat aus Quest-Handlungen. Ihr müsst Unschuldige retten oder Euch gegen Räuber im Kampf erwehren.

Verblüffende Zauber

Das Kampfsystem ist noch ganz das alte, lediglich steuerungstechnisch hat sich etwas getan. Ihr könnt komfortabel jeden eingeprägten Zauber im Zauberbuch sofort in der Aktionsleiste sprechen. Zauber sind in Neverwinter Nights 2 ein Fest für die Sinne: Rauchschwaden, Schneeflocken und gleißende Lichter sind an der Tagesordnung.

Die Sprüche, die die Zauberer beim Murmeln der Formel aufsagen, sind eins zu eins aus dem Vorgänger übernommen. Genauso Großteile der Hintergrundmusik. Das stört aber nicht weiter. Denn dafür ist sowohl die englische als auch die deutsche Sprachwiedergabe der Charaktere gelungen. Viel mehr Textpassagen als in Teil 1 wurden vertont und tragen mit zu dem Rollenspielfeeling bei. Leider gibt es bei der deutschen Version noch einige Fehler in den Untertiteln. Diese sollen aber korrigiert werden.

Spartanisches Retro-Inventar

Die Achillesferse des ansonsten sehr soliden Spiels sind das Interface und die Steuerung. Alle Gegenstände im Inventar, sei es nun ein Trank oder eine Doppelaxt, nehmen wieder nur ein einziges Feld ein. Sie unterscheiden sich ansonsten nur in punkto Gewicht. Das ist weder konsequent logisch, noch ist es praktisch. Man verliert wegen der kleinen Darstellungen schnell die Übersicht. Bei Kleidungsstücken hilft oftmals nur das bloße Ausprobieren.

Außerdem verzichtet Neverwinter Nights 2 auf das praktische Kreismenü vom Vorgänger. Es wurde durch ein billiges Kontextmenü ersetzt. Gerade in der Hitze des Gefechts herrscht Verwirrung. Gewünschte Aktionen in Unterzweigen erreicht man nicht so flott wie mit der vorherigen Methode.

Unpraktisch ist auch die neue Minimap. In der Regel müsst Ihr immer auf die vollständige Weltkarte zurückgreifen, um Euch zurecht zu finden.

Im Regelwerk kaum Neues

Das Spiel nutzt das neue Dungeons & Dragons 3.5 System. Ihr erhaltet außerdem die neuen Rassen Tiefling und Aasimar, sowie eine echte Subrasseneinordnung (Mondelf, Dunkelelf, usw.). Tieflinge etwa starten mit verbesserten Statuspunkten, sammeln aber dafür langsamer Erfahrung und steigen nicht so schnell auf wie andere Rassen.

Dank Dungeons & Dragons 3.5 gibt es zudem eine Reihe neuer Talente, Zauber und Prestigeklassen. Besonders ist auch, dass es jetzt eine Klasse gibt, die nur nach Absolvierung eines bestimmten Quests im Spiel gewählt werden kann. Hier zeigt sich die Mächtigkeit des neuen Leveleditors, der für Neverwinter Nights 2 weiterentwickelt wurde. Dieser bietet nun neben einer viel aufgeräumteren Oberfläche auch viel mehr Skript- und Einstellungsmöglichkeiten als das alte Aurora Toolset.

Die Entwickler versuchen so wieder eine Modding-Community zu schaffen, die ihnen über Jahre hinweg noch neue Module liefert, die Spieler immer wieder reizen.

Fazit

Neverwinter Nights 2 ist unter dem Strich eine mehr als gelungene Fortsetzung. Sie setzt grafisch und spielerisch einen drauf. Die Synchronisation gibt es nun auch auf Deutsch. Problematisch ist lediglich die Benutzeroberfläche. Vor allem das unlogische Inventar und das nervige neue Kontextmenü stehen dem Spielspaß im Weg. Das spielt aber für echte Rollenspielfans keine Rolle.

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